Ein Bericht von Susanne Grünwald, Mennoniten Gemeinde Regensburg
In drei Tagen Ende Januar hat uns Referent Marlin Watling aus Heidelberg am Thomashof in Karlsruhe näher gebracht, wie eine Gemeinde Strahlkraft nach außen bekommt, wie sie ihre Komfortzone verlassen kann. Es gehe darum, den Menschen zu dienen, mehr „Reich Gottes“ und weniger „Kirche“ zu denken. Das führe dann dazu, dass mehr „Kirche“ dabei rauskommt!
Marlin ist in der Mennoniten Gemeinde Sinsheim aufgewachsen. Insbesondere ist ihm das missionarische Wirken von Gemeinden auf dem Herzen. Früher war er als Personalleiter tätig. Heute ist er Gemeindegründer, Coach, Referent und Schriftsteller.
In einer Vortragseinheit ging es um unser geistliches Sehen. Dem Erkennen von Fähigkeiten und dem Entwickeln von Visionen.
Dabei gilt es die besonderen Zeitpunkte im Leben, die sog. „Kairos“ (griech.) – Momente, die in den normalen zeitlichen Lebenslauf, „Chronos“ (griech.), eingebettet sind, zu erkennen, festzuhalten und sprachfähig zu machen. Bei der Kommunikation sieht Marlin in den Gemeinden die Problematik. Er habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass der als selbst gut erkannt und erfahrene Glaube – ein gutes Produkt – nicht notwendigerweise bei Anderen auch gut ankommt. Wie erreichen wir die Leute?
In einer anderen Einheit ging es um die Frage, wie wir unsere Sendung, unser Angebot für die Gemeinde und für die Gesellschaft finden können. Was brauchen die Leute, was können wir geben?
Hörendes Beten und das Festhalten an dem, was Gott gibt (antwortet), unterstütze uns bei der Beantwortung dieser Fragen. Und dann gelte es, sich auch mutig in einer Erwartungshaltung in Bewegung zu setzen.
Um Visionen in Gemeinden gut umsetzen zu können, ist eine bestimmte Teamkultur unumgänglich. Marlin stellte uns vier Formate vor: Gegeneinander, Nebeneinander, Miteinander, Füreinander.
Das Wichtigste für ein gutes Team ist seine Einheit. Die Qualität des Miteinanders ist wichtiger als die Teamkultur. Idealerweise sollte sich eine Gemeinde, von einem Miteinander zu einem Füreinander entwickeln. Man pflegt einen wohlwollenden Umgang, unterstützt sich gegenseitig und entwickelt Dinge (Visionen, Ideen…) gemeinsam weiter. Um bei Gegensätzlichem in ein Füreinander zu kommen ist nach Marlin folgendes zu beachten: Benennt eure Ideale! Lebt sie vor – immer wieder Hebt die „Leichen“ im Keller! Seid vorbereitet auf kritische Situationen!
In den präsentierten Projekten, stellte er exemplarisch dar, wie „Segensorte für Menschen“ entstehen können!
Am Interessantesten für mich als Naturliebhaberin war das Projekt „Tante Polly“ an den Rheinaltwassern im alten Karlsruher Hafen:
https://www.wirsindtantepolly.de/tante-polly-team
Hier, mitten im Überschwemmungsgebiet, in einer fantastischen Naturlandschaft, haben sich Menschen im Jahr 2019 zu einer verbindlichen Kommunität zusammengefunden. Die Gemeinschaft hat sich für fünf Werte entschieden, die sie kultivieren möchten: Spiritualität, Schönheit, Freundschaft, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit. Außerdem haben sie dort eine Gemeinde gegründet und eine Event-Location etabliert, wo Firmen tagen und Familienfeiern stattfinden können. Sie laden gern andere Menschen ein, veranstalten Konzerte oder bieten verschieden Workshops an. Die Kommunität vertraut darauf, dass das, was sie tun und wo sie anderen Menschen begegnen, immer auf Gott hinweisen. Sie sehen sich für die Menschen wie ein „Showroom“ des Reich Gottes in der Nachbarschaft – erlebbar und greifbar.
Eine andere interessante Idee ist die „Sonntagsschule“!
Nein, hier geht es nicht etwa um Unterricht, sondern darum, wieder „Sontag zu lernen“, Sonntag in seiner eigentlichen Qualität (zur Ruhe kommen, Gemeinschaft erleben, geistliche Angebote, bekocht werden etc.) wieder erfahr- und erlebbar zu machen. Zusätzlich kann ein Tiny-Gästehaus, für „Micro-Sabbaticals“ (Kurz-Auszeiten), Seelsorge oder Beratung gemietet werden.
Marlin versäumte auch nicht, uns in klarer, sachlicher Sprache, die großartigen Stärken der Mennoniten aufzuzeigen (Familie, Verbundenheit, Werte mit Zukunft, Anpacken, Bodenständigkeit, Geschichte, Erbe), die es zu nutzen gilt, aber zeigte auch ihre Hürden, die die Handlungsfähigkeit in den Gemeinden einschränken bzw. ausbremsen können (Basisstagnation, Ängstlichkeit, Bewahrung, wenig Feuer, schwacher Auftritt in der Öffentlichkeit, keine Einheit und Leitung, Frust bei Vielen).
Mein Fazit:
Zum Einen hat mich besonders die Kreativität und der Mut der Initiatoren begeistert, ihre vielfältigen Ideen anzugehen und die Projekte trotz mancher Schwierigkeiten und Rückschläge umzusetzen.
Zum Zweiten ist mir klar geworden, dass diese Art des Herangehens, unvoreingenommen Menschen mit ihren Bedürfnissen zu unterstützen, uneigennützig zu helfen, eine der ureigensten wertvollen Eigenschaften der Mennoniten ist, die sehr stark in einem weltweiten Netzwerk verankert ist.
Vielleicht ist es an der Zeit, den Focus daneben auch wieder auf örtliche Mennoniten Gemeinden mit ihrem vielfältigen Potential, in ihrem Umfeld zu richten, um mehr Strahlkraft vor Ort zu gewinnen und die Gemeinden wachsen zu lassen?