W. in Zentralasien

Leben in Zentralasien - Ein Tag zwischen Mittelalter und Moderne

Morgens um 4:30 Uhr ruft der Muezzin mit schepperndem Lautsprecher zum Gebet, ich 
schlafe noch und höre ihn meist nicht, bin daran gewöhnt. Mein WG-Kollege arbeitet technisch und fährt schon um 6 Uhr, ich schlafe noch bis Viertel vor 7. Nach dem Waschen schalte ich das Hand-Radio ein. Das habe ich immer mit mir, falls das Mobiltelefon-System abgeschaltet wird. Draußen krähen die Hähne der Nachbarn, ein Kind schreit. Dann stelle ich den Wasserkessel auf meinen Gasherd und ziehe mich an. Zum Frühstück gibt es Müsli verlängert mit russischen Haferflocken mit pakistanischem Milchpulver und Grünem Tee von einem Händler in Dubai. Habe stille Zeit während des Frühstücks. 

Arbeit zwischen meinem Laptop und dem Gebetsteppich des Kollegen

Um 20 vor acht fahre ich mit dem Fahrrad zur Arbeit, 10 Minuten, schneller als mit dem Auto im Stau. Fahre vorbei an Schülerinnen in Schul-Uniform, alten Männern in Turban, Frauen in Burka neben Töchtern mit knielangem Rock über der Jeans und Kopftuch, Strassenhunde schlafen am Strassenrand. Überhole KollegInnen die zu Fuss gehen weil Frauen bei uns nicht Fahrrad fahren dürfen und ich ignoriere sie. Denn in unserem Land wäre es schlecht für ihren Ruf falls sie mit Männern auf der Strasse reden die keine nahen Verwandten sind.
Wir ausländischen Mitarbeiter beginnen den Tag mit einer halben Stunde „drandenken“. 
 Danach warten auf mich Rechnungen zum Abzeichnen, einheimische Manager brauchen Dollar-Vorschüsse oder wollen diese abrechnen. Dari rede ich mit einheimischen KollegInnen, mit anderen Ausländern Englisch. Mein Kollege sagt dass die Afs-Kasse leer ist und ich fahre mit dem Fahrer zur Bank um Bargeld zu holen. Die Monats-Berichte für unser neues Finanz-System sind zu überprüfen. Dann schreibe ich an einem Finanzteil für einen neuen Projekt-Antrag. Nachmittags werde ich an einem Finanzbericht an das schwedische Hauptbüro arbeiten. Es ist ermutigend zu erfahren, dass wir nicht nur armen Menschen äußerlich helfen, sondern dass wir auch Werte weitergeben. Beispielsweise mehr Respekt für Frauen und wir ermutigen zu weniger Gewalt in den Familien.
Um 12:30 Ruft der Muezzin von der Moschee nebenan zum Gebet, wenig später haben wir Mittag im Büro: Unser Koch hat Bohnen gekocht, die importierten aus Pakistan sind billiger als einheimische. Diese essen wir mit frischem Fladenbrot. Die Banane zum Nachtisch esse ich abends weil ich im Büro keine Zahnbürste habe. Während des Essens, im Schneidersitz auf dem Boden, reden wir Männer über die Probleme einiger Büro-Autos, Preise im Bazar, Sicherheitslage, etwas Politik und dass ich die zweite der einheimischen Sprachen lernen sollte. Die Frauen essen hinter einem Vorhang im anderen Raumteil: Purdah, Trennung zwischen Männer- und Frauenwelt.

Das Leben der Männer ist nach der Arbeit im Teehaus und auf der Strasse

Offizieller Büroschluss ist um 16:00 Uhr, meist arbeite ich bis 17:00 Uhr, als Single habe ich da mehr Freiheiten. Dann schlinge ich mein Arafat-Tuch über Mund und Nase gegen Staub und Dieselgestank, rufe Mitbewohner an und fahre mit dem Fahrrad nach Hause. Es muss immer jemand wissen wo ich bin und von wo nach wo unterwegs wegen der Entführungen hier. Fühle mich trotzdem sicher und fahre gerne Fahrrad in unserem Viertel. So bekomme ich mehr mit was los ist, habe Bewegung und bin schneller als Fussgänger und Bauern mit Pferde- und Eselswagen.
Auf dem Weg kaufe ich eine Dose Tomaten-Purree und Nudeln aus Pakistan, unterhalte mich mit meinem Freund dem Verkäufer. Dann stoppe ich beim Brot-Bäcker: Unterhalte mich mit den jungen Leuten in der Backstube auf Dari über deutschen Fussball und das Wetter und kaufe dann ein frisches Brot (etwa 300 Gramm) für etwa $0.22 US-Dollar. Das Brot esse ich mit etwas Kirsch-Marmelade oder Frischkäse aus Iran. Dazu losen Grünen Tee, die Blätter tue ich einfach in die Tasse. Als Nachtisch esse ich die pakistanische Banane die ich zu Mittag bekam und nicht gegessen habe.
Manchmal fahre ich eine(n) KollegIn zum Einkaufen, zur Botschaft oder hole Leute vom Flughafen ab. Ab und zu fahre ich in die Innenstadt zum einkaufen, aber dort ist die Sicherheit schlechter, fahre nur wenn es nötig ist. Einige Kolleginnen fahren in diesem chaotischen Verkehr kein Auto. Bin dankbar dass wir von der früheren Arbeit in den Dörfern mit schlechten Strassen her einige Geländewagen haben. Ist dumm dass sie so viel Diesel brauchen, aber wenn es regnet bleibe ich nicht im Schlamm stecken. Und wenn die Zeit knapp ist komme ich viel schneller durch die vielen Schlaglöcher. So kann ich den Kollegen helfen die sich nicht trauen.
Draussen vor meinem Mietshaus fahren Eisverkäufer-Handwagen mit einer Melodie von Beethoven die sie ständig abspielen per Lautsprecher. Bauern kommen mit einem Eselswagen und preisen Kartoffeln an, andere sammeln Altmetall. Höre das Lachen der Nachbarsjungen die auf der Strasse Fußball spielen und die Helikopter der Regierung und der Reichen fliegen über mir vorbei.
Ein Freund kommt vorbei, wir reden und ich serviere den allgegenwärtigen Tee, auch Trockenfrüchte und Nüsse zum knabbern.
Schaue im Internet ob ich emails bekommen habe und beantworte eins oder zwei. Suche auch einen günstigen Flug zur nächsten Konferenz in einem halben Jahr. Habe zwar akzeptables DSL-Internet, es wird aber wahrscheinlich von der Regierung kontrolliert.
Mit dem Hand-Radio antworte ich auf den Abend-Check: Bin sicher daheim! Der Sicherheits-Verantwortliche Kollege ruft alle Kollegen in der Stadt mit dem Hand-Radio ob alle zu Hause und okay sind. Das ist nötig, u. a. wegen der Entführungs-Gefahr hier.
Tue Wäsche in die Waschmaschine des Mitbewohners und stelle ein dass sie morgen um 4 Uhr morgends waschen soll, damit ich sie auf der Dachterrasse aufhängen kann vor dem Frühstück.
Lese im Internet in BBC (englische Nachrichten-Organisation) Nachrichten aus meinem Land. Oft wird berichtet von der angespannten Sicherheitslage, bin dankbar dass die Vorfälle meistens nicht in meiner Stadt sind. Und wie schwierig es ist für den Westen die hiesige Regierung auf dem Weg zu positiver Entwicklung zu begleiten. Dann in Tagesschau.de deutsche und Internationale Nachrichten: Wieviel die deutsche Wirtschaft wächst und was in Nahost los ist usw.
Lese noch etwas in einem Roman oder Geschichten aus der Vergangenheit dieses Landes: 
Als Ausgleich zu meiner etwas trockenen Zahlen-Welt bei der Arbeit. Stelle das Handy als Wecker für den nächsten Tag. Die Strassenhunde draussen sind jetzt aktiv und bellen laut.
Bin fasziniert und dankbar nach oben dass ich hier in diesem Land als Entwicklungshelfer arbeiten kann, das vor kurzem noch im Mittelalter war!

W. in Zentralasien

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